«Shemira» ist die jüdische Tradition der Totenwache, in der ein «Shomer» während der Nacht über den Körper einer kürzlich verstorbenen Person wacht. Oft übernimmt eine verwandelte Person die Wache, manchmal wird aber ein professioneller «Shomer» dafür angestellt. In The Vigil ist dies Yakov, aber diese Nacht wird er so schnell nicht vergessen.
Der Film beginnt mit dem Treffen von Yakovs (Dave Davis) Selbsthilfegruppe, in der sich ehemalige Mitglieder der streng konservativen jüdischen «Hasidic» Gemeinschaft austauschen. Alle kämpfen auf ihre eigene Weise mit ihrem neuen Leben und Traumas der Vergangenheit. Yakov hat Mühe einen Job zu finden, bräuchte diesen aber dringend, um nicht nur Miete und Essen, sondern auch seine Medikamente zu bezahlen.
Deswegen willigt er ein, gegen Bezahlung eine Totenwache zu übernehmen, als er von einem alten Bekannten der Gemeinschaft dafür angefragt wird. Der Verstorbene ist aufgebahrt in einem kleinen Haus mit schummrigem Licht, seine leicht demente Ehefrau Mrs. Litvak (Lynn Cohen) zieht sich nach Jakobs Ankunft in ihr Schlafzimmer zurück.
Es lauert im Schatten
Dass dies keine gewöhnliche Totenwache wird, kündigte die bedrohliche Filmmusik von Michael Yezerski bereits in den ersten Filmminuten an. Erst nur leise im Hintergrund, nimmt sie zunehmend Raum ein und trägt massgeblich zur beklemmenden Stimmung dies Films bei. Genauso gekonnt spielt Regisseur Keith Thomas mit den engen Räumen und dunklen Schatten des Hauses, um den subtilen Horror von The Vigil aufzubauen.
Bald wird Yakov nämlich von den ersten Geräuschen im Haus aus seinen Gedanken gerissen. Knarzendes Holz wirkt plötzlich ominös im orange-grünen Licht des kleinen Raums mit einem aufgebahrten Leichnam und im dunklen Nebenzimmer kratzen Fingernägel leise über den Fussboden. Es sind aber die Bewegungen im Schatten, die Yakov an seiner Wahrnehmung zweifeln und verstört seinen Psychiater anrufen lassen.
Kein Entkommen
Davis spielt den verletzlichen Yakov dabei grandios. Die Geschichte von The Vigil ist simpel, aber es ist Davids Schauspiel zusammen mit der grandiosen Musik und Kameraarbeit, die den Film herausstechen lassen.
Als Yakov realisiert, dass im Haus wirklich etwas faul ist, ist es schon zu spät: So einfach kommt er nicht mehr weg, auf jeden Fall nicht ohne sein eigenes Trauma zu konfrontieren. «Lasst den Schmerz der Vergangenheit ruhen.», sagt der Leiter der Selbsthilfegruppe zu Beginn, aber manchmal muss man Zurückschauen, um anschliessend gestärkt vorwärts gehen zu können.
Fazit
«The Vigil» ist eine Erzählung über Geister der Vergangenheit, die sich dank der gekonnten Kameraarbeit, der beklemmenden Musik und dem eindringlichen Schauspiel von Dave Davids von ähnlichen Filmen abhebt.
3.5/5 Sterne
The Vigil läuft in der Schweiz noch bis am 10.06.21 am Yesh! Festival (online und im Kino) und ist auch bereits auf DVD/Blu-ray/digital erhältlich.
The Vigil (2019), Regie: Keith Thomas, USA.
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