
Mariana (Mari Oliveira) ist Teil des Frauen-Kirchenchors in einem Land, in dem Staat und Kirche nicht mehr getrennt und gar Partys als Sünde verboten sind. Als Vorbilder der Gemeinde singen die Frauen über Jungfräulichkeit, Christus und Hingabe und jagen in der Nacht Sünderinnen auf der Strasse. Als Mariana von einer solchen Jagd jedoch eine Narbe im Gesicht davonträgt, passt sie plötzlich nicht mehr ins Bild der jungfräulichen Schönheit und ihre Welt beginnt langsam zu zerbröckeln.
Wie so oft ist die Rede über «innere Werte» nämlich mehr Schein als Sein, von den Frauen wird Schönheit und Unterwerfung erwartet. So gibt Marianas beste Freundin Michelle in ihren Videos Tipps über das perfekte «Christian-Selfie» und wie frau am besten mit Make-Up einen blauen Flecken verdeckt, wenn dem Ehemann halt mal wieder die Hand ausrutscht.
Wo genau der brasilianische Film Medusa spielt, wird nie explizit genannt, aber die Nähe der Story zu aktuellen Entwicklungen in Brasilien ist kaum zufällig. Regisseurin Anita Rocha da Silveira kritisiert mit ihrem Film deutlich die Vermischung von Kirche und Staat und die damit meist einhergehende Unterdrückung der Frauen. Die Schaffung eines über-patriarchalischen Systems, in dem sich die Frauen am Ende gar gegenseitig unterdrücken.
Marianas Narbe gibt ihr einen Makel, der ihre bisherige Rolle als perfektes Vorbild plötzlich in Frage stellt. Sie verliert ihre Stelle in der Schönheitsklinik und entwickelt eine Faszination für die Geschichte von «Melissa, der Sünderin», eine junge Schauspielerin, der wegen ihres «sündhaften» Verhaltens das Gesicht verbrannt wurde und die seither nicht mehr gesehen wurde.
Gerüchteweise liegt Melissa nun in einer speziellen Klinik für Komapatienten*innen und so sucht sich Mariana genau dort eine neue Stelle. Was sie aber dort findet, ist eine Welt, die ganz anderes ist, als ihr enger Kirchenkreis, eine Welt, die ihr erstmals erlaubt, sich selbst zu sehen. Nur versteht Mariana diese neuen Gefühle in sich erst einmal nicht und so erschafft sie sich Dämonen und Geister, denen sie die «Schuld» an ihren unchristlichen Gedanken zuschieben kann.
Diesen inneren Kampf bringt Regisseurin Anita Rocha da Silveira mit hypnotischen Bildern zwischen Zuckerpastel und Neonfarben voller Kraft zu tage. Genauso wie sie mit der richtigen Portion Satire der scheinbar perfekten christlichen Gemeinschaft im Film den Spiegel verhält. Mit diesen Elementen gelingt ihr ein kraftvoller Film, der sich zwar manchmal etwas in zu langsamen Abschnitten verliert, aber am Ende umso stärker im Finale zurückschlägt.
Fazit
Medusa macht seine manchmal etwas langsamen Momente locker wett, mit hypnotischen Bildern zwischen Zuckerpastel und Neonfarben, gelungenen Satire-Momenten und einer kraftvollen Geschichte über eine Frau, die sich selbst aus einer religiösen Gehirnwäsche befreit.
4/5 Sterne
Medusa lief am 18. Zurich Film Festival.
Medusa (2021), Regie: Anita Rocha da Silveira, Brasilien.
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