
Eines der Highlights am diesjährigen Zurich Film Festival war der Crime Thriller Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis mit Jake Gyllenhaal. Seine Leinwandpartnerin, Rene Russo, besuchte im Rahmen des Zurich Film Festivals die Limmatstadt, um für den Film zu werben.
Blogbusters hat mit ihr unter anderem über ihre sechsjährige Auszeit, Co-Star Gyllenhaal und Gewalt im Fernsehen gesprochen. Beim Regiedebüt ihres Ehemannes Dan Gilroy (Drehbuchautor von The Bourne Legacy, Real Steel etc.), spielt sie die TV-Nachrichtenchefin Nina Romina. Während Gyllenhaals Charakter Lou mit seiner Kamera immer sensationsreicheres Videomaterial von blutigen Unfällen oder Gewalt jagt, ist es Nina, die die Videos jeweils kauft, um die Quoten ihrer News-Sendung nach oben zu treiben.
Für das Interview treffe ich Rene Russo im bekannten Zürcher Edelhotel Grand Dolder. Die Schauspielerin kennt aber auch die andere Seite des Lebens: Bevor sie mit 28 Jahren als Model entdeckt wurde, jobbte sie anstatt in die Highschool zu gehen, um ihre Familie zu unterstützen. Vom Modeln gelangte sie über das Theater zum Film. Bekanntheit erlangte sie durch ihre Rollen in Lethal Weapon 3 (1992), Outbreak (1995), Ransom – Lösegeld (1996) oder Die Thomas Crown Affäre (1999). Zuletzt war sie als Göttin Freja in Thor (2011) und Thor: The Dark Kingdom (2013) zu sehen.
Was hat Sie dazu gebracht, nach rund sechs Jahren Pause wieder in Filmen mitzuspielen?
Rene Russo: (lacht) Ich weiss, das ist eine Weile her. Ich bin mit einem kleinen Film wieder eingestiegen, der mir wirklich zugesagt hat. Ich weiss allerdings nicht, ob er jemals veröffentlich wird. Und bei Nightcrawler hat Dany (Drehbuchautor und Regisseur Dan Gilroy, Anm. d. Red.) diese Rolle geschrieben, die mir ebenfalls wirklich zugesagt hat.
Aber die Zeit dazwischen mochte ich einfach nicht mehr Schauspielern, ich brauchte eine Pause. Ich habe gearbeitet seit ich neun Jahre alt war, jeden Tag. Wenn du in einem Film mitspielst, arbeitest du mindestens 14 Stunden pro Tag. Ich wollte aber endlich einmal einige Dinge tun, die ich mir schon lange gewünscht hatte.
Was für Dinge?
Rene Russo: (lacht) Ich habe mich in gewisser Weise entschieden wieder in die Schule zu gehen, einfach im Selbststudium. Ich habe die Highschool nie abgeschlossen und deswegen gab es viele Bereiche, mit denen ich mich zuvor nie wirklich befasst hatte. Deswegen hatte ich einige Jahre einfach Spass daran Dokumentationen anzuschauen. (lacht) Dazwischen habe ich noch ein Haus gebaut und einen Garten angelegt. Ich habe mich intensiv mit „Native Gardening“ befasst. In Kalifornien gibt es nämlich praktisch keine Gärten mit einheimischen Pflanzen mehr. Die ersten Siedler haben damals alles mit ihren Rosen überpflanzt. Aber eigentlich gibt es in Kalifornien eine wunderschöne Flora, deswegen wollte ich einen „Native Garden“ mit lauter einheimischen Pflanzen. Der Garten wurde wie ein Kunstprojekt für mich.
Und als Dan Gilroy Ihnen dann die Rolle in Nightcrawler angeboten hat waren Sie sofort dabei?
Rene Russo: Ich war sofort begeistert. Ich habe das Skript gelesen und dachte: Das macht sicher Spass, ich kann ein „Bad Girl“ spielen. Ich meine nicht wirklich ein „Bad Girl“ im Sine von böse, aber eine verzweifelte Frau. Ich habe noch nie eine solche Rolle gespielt, in der ich derart wütend und verzweifelt sein konnte.
Im Film bringen Sie diese Verzweiflung, sehr gut hinüber. Es wäre einfach gewesen Nina als die stereotype kalte Business-Frau darzustellen, aber Sie bringen wirklich auch ihre verletzlich Seite rüber. Wie haben Sie dies gemacht?
Rene Russo: Ich schätze es wirklich, dass Sie das so wahrnehmen. Ich hätte die Rolle nämlich nicht gewollt, wenn Nina einfach als kalte Bitch dargestellt worden wäre. Nina überschreitet zwar eine Menge moralische Grenzen, aber gleichzeitig hat sie Angst. Ich wollte zeigen, dass sie im Grunde nur wirklich verzweifelt ist. Ich habe versucht ihre Verletzlichkeit in kurzen Momenten durscheinen zu lassen. Einige Leute erkennen diese Momente und andere nicht. Die Leute nehmen den Film unterschiedlich war. Vor allem Frauen scheinen Nina als verletzlicher wahrzunehmen als Männer. Es ist nicht immer vom Geschlecht abhängig, aber ich habe zum Beispiel Männer sagen hören: „Wow, sie ist eine echte Bitch“. Und dann war eine Frau im Raum die sofort antwortete: „Nein, das ist sie nicht. Sie hat die Kontrolle, aber sie ist verletzlich und sie hat Angst.“ Diese unterschiedlichen Perspektiven der Geschlechter finde ich wirklich interessant.
Vielfach wird ja auch gesagt, dass es Männern erlaubt ist, aggressiver zu sein als Frauen. Wie haben Sie dies in ihrer Karriere als Hollywood-Schauspielerin erlebt?
Rene Russo: Ich persönlich kann nicht arbeiten, wenn ich mit dem Hauptdarsteller oder dem Regisseur nicht zurechtkomme. Deswegen, selbst wenn ich eigentlich den Hauptdarsteller oder den Regisseur eigentlich nicht mag, tue ich alles, damit ich trotzdem mit ihnen gut auskomme. Ich bin nicht gerne aggressiv. Ich brauch Harmonie und Frieden um zu arbeiten. (lacht)
Wie war es in diesem Fall mit Ihrem Ehemann zu arbeiten? War genügend Harmonie auf dem Set vorhanden?
Rene Russo: Auf dem Set ja. Wir haben alle wichtigen Punkte vor den Dreharbeiten besprochen, damit es dann auf dem Set friedlich war (lacht). Wir wollten ja nicht vor der ganzen Crew streiten. Allerdings hatten wir gar nicht so viele Uneinigkeiten. Ich habe nur eine Weile gebraucht, um die Rolle wirklich zu erfassen. Aber Dany ist ein echter Schauspieler-Regisseur, er hat zum Beispiel auch Jake Gylllenhaal erlaubt, seine Rolle selbst zu entdecken und hat ihm viele Freiheiten gelassen.
Wie war es mit Jake Gyllenhaal zu arbeiten?
Rene Russo: Es war wirklich unglaublich einen Schauspieler dabei zu beobachten… (sie überlegt, sucht nach den richtigen Worten), wie er diese dünne Linie beschreitet… (sie überlegt erneut), dafür sorgt, dass man seine Rolle nicht einfach in eine Schublade stecken kann. Man kann nicht einfach sagen, seine Rolle sei die eines Soziopathen, obwohl sie definitiv solche Züge aufweist. Jake musste dafür sorgen, dass Lou gleichzeitig charmant, abstossend, lustig und humorvoll ist. Alle diese Aspekte hat er hingekriegt, und ich hoffe er kriegt für diese Rolle die entsprechende Würdigung.
Man merkt definitiv, dass der Film seine Charaktere nicht einfach verurteilen will. Liegt darin aber nicht auch eine gewisse Gefahr? Was Lou tut ist unmoralisch. Sehen Sie kein Problem darin, dass er nicht „moralisch“ verurteilt wird?
Rene Russo: Ich glaube, Sie haben Recht, der Film verurteilt ihn nicht. Aber ich glaube auch, dass wir in einer Welt leben, in der Leute ständig moralische Grenzen überschreiten. Ich wollte Nina nicht verurteilen, weil: Wenn ich eine Frau wäre, deren Job in Gefahr ist und ich diesen Job zum Überleben bräuchte, was würde ich dann tun? Würde ich moralische Grenzen überschreiten? Würde ich wegschauen? Vermutlich würde ich das tun und dann: Wer würde mich verurteilen? Wenn man wirklich verzweifelt wird, dann überschreitet man moralische Grenzen. Ich bin der Meinung: Jeder, der irgendwann einmal moralische Grenzen überschritten hat, sollte nicht einfach so andere verurteilen.
Ich habe überlegt, ob ich jemals solche Grenzen überschritten habe. Und immer wenn ich welche überschritten habe, dann war dies, weil ich Angst hatte oder verzweifelt war.
Könnte man also sagen: Es ist einfach andere Leute zu verurteilen und absolut moralisch zu bleiben, wenn man noch nie wirklich verzweifelt war?
Rene Russo: Jawohl, da haben Sie absolut recht. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass vor allem ältere Leute Ninas Handlungen im Film eher verstehen können als Jüngere. Die Jüngeren haben noch nicht wirklich erlebt, was es bedeutet am Ende seiner Karriere zu sein, alleine zu sein oder gar seinen Job zu verlieren. Wenn man diese Lebenserfahrung noch nicht hat, diese Art von Angst und Verzweiflung nicht kennt, dann verurteilt man Nina vermutlich stärker. Jeder nimmt seine Lebenserfahrung und fällt dann darauf basierend sein Urteil.
Ein wichtiger Bestandteil des Filmes ist die Zunahme von zur Schau gestellter (grafischer) Gewalt- und Unfallbildern im Fernsehen. Was denken Sie darüber?
Rene Russo: Darüber habe ich lange nachgedacht. Offensichtlich besteht ein Markt für solche Bilder, sonst würden sie nicht existieren. Die Leute fühlen sich von solchen Bildern angezogen. Ich glaube wir Menschen sind ziemlich mutig; jeder Tag könnte unser letzter sein. Wir wissen nie, was im nächsten Moment passieren kann. Trotzdem laufen wir herum, obwohl sich jederzeit ein Abgrund unter uns auftun könnte. Meine beste Freundin ist vor vier Tagen an Krebs gestorben. Sie war 52 Jahre alt. Wir haben immer Dinge gesagt wie: „Wir sind gesund uns geht es gut, das ist grossartig, wir müssen das schätzen!“
Das tut mir leid.
Rene Russo: Man weiss nie was als Nächstes passiert und mit diesem Wissen laufen wir jeden Tag herum. Über dieses Gefühl sprechen wir aber nicht und deswegen zieht uns vielleicht das Drama von anderen so an. So können wir es in gewisser Weise aus zweiter Hand erleben.
Glauben Sie irgendwann könnte ein Punkt kommen, an dem wir übersättigt sind von Gewaltbildern? An dem wir genug davon haben? Oder liegt dies einfach in der menschlichen Natur?
Rene Russo: Das ist eine gute Frage. In der Schweiz sieht man noch keine derart grafischen Bilder in den Medien, oder?
Nein, noch nicht. Aber es gibt auch hier eine leichte Tendenz zu immer sensationsreisserischen Bildern.
Rene Russo: Ich selbst schaue die lokalen Nachrichten nicht. Ich mag diese Art von Bildern schon jetzt nicht. Aber offensichtlich schaut es irgendwer. Ich weiss nicht, ob wir jemals an einen Punkt kommen, an dem wir genug davon haben. Im Moment wird es nur immer extremer und mit dem Internet und Social Media nimmt es noch mehr zu. Das alles verändert sich so schnell und wir haben uns noch gar nicht wirklich daran gewöhnt.
Womit sie nicht unrecht hat. Wer permanent Neues, Besseres und Extremeres vorgesetzt bekommt, hat weniger Zeit zum Hinterfragen. Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis spielt, packend inszeniert, mit diesem Strudel des immer Extremeren und regt dabei hoffentlich auch zur einen und anderen Diskussion an.
Ein ganz persönliches Highlight kommt ganz zum Schluss als meine braune Lieblings-Lederjacke eine neue Auszeichnung erhält. Nachdem ich mich nämlich für das Interview bedankt habe und schon zur Tür raus will, meint Rene Russo noch: „Tolle Jacke! Das ist eine wirklich schöne Farbe!“. Das darf sich jetzt mein Umfeld noch eine Weile anhören. Soviel Gossip muss sein.
Mini-Bio und Trivia Rene Russo
- Als Model entdeckt wurde sie 1972 mit 18 Jahren an einem Rolling Stones Konzert.
- In ihren 30gern wechselte sie für eine Weile zum Theater.
- 1987 folge schliesslich ihre erste Film-Schauspielrolle in der TV-Serie Sable.
- Ihr erster Langfilm war Mr. Destiny (1990), der grosse Durchbruch gelang ihr mit Lethal Weapon 3 (1992).
- Weitere ihrer grossen Film sind Outbreak (1995), Ransom – Lösegeld (1996) oder Die Thomas Crown Affaire (1999).
- Sie ist verheiratet mit Regisseur Dan Gilroy und hat eine Tochter.
- Ihre nächsten Projekte sind die Komödien Frank and Cindy (2015) und The Intern (2015).
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